Hintergrundmaterial zu Mythos

Das Massaker auf dem Fernando Belaúnde Terry Highway vor Bagua

Über Jahre hatte es immer wieder Konflikte zwischen der peruanischen Regierung und den indigenen Völkern in der Amazonas-Region über die Ausbeutung der Bodenschätze gegeben. 2008 und 2009 kam es zu intensiven Protesten gegen eine Reihe von Dekreten, die die Regierung von Präsident Alan García erlassen hatte, um die Gesetze an den Freihandelsvertrag mit den USA anzupassen. Die Dekrete sollten die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Amazonasgebiet erleichtern. García rechtfertigte die Dekrete damit, dass eine Minderheit kein Recht hätte, einem ganzen Land den Nutzen vorzuenthalten, den die Bodenschätze bringen würden. Die Indigenen warfen der Regierung daraufhin vor, sich nicht an die Convention No. 169 zu halten, die vorschreibt, dass Stämme konsultiert werden müssten, wenn sie von solchen Entscheidungen betroffen sind. Seit April 2009 blockierten zehntausende Demonstranten Straßen, Flüsse und Erdölanlagen in den Departements Amazonas, Cuzco, Loreto, San Martín und Ucayali. Die katholischen Bischöfe Perus sprachen den Indigenen ihre Unterstützung aus. Die Regierung rief in einigen Distrikten den Notstand aus, an mehreren Orten ging die Polizei gegen die Indigenen vor.

Am 4. Juni trafen sich General Víctor Uribe von der örtlichen Polizei, Bischof Santiago García de la Rasilla und Führer der indigenen Awajún und Wampis in Bagua. Die Indigenen blockierten bereits seit Wochen den Fernando Belaúnde Highway an der Curva del Diablo, unterstützt von Einheimischen. Der General kündigte die Räumung der Straße an und gewährte den Demonstranten eine Frist für den Rückzug bis 10 Uhr am nächsten Morgen.

Die Auseinandersetzungen an der Curva del Diablo begannen um 5.30 Uhr, als eine kleine Gruppe von Polizisten der Spezialkräfte DINOES auf einem Hügel mit Indios konfrontiert wurde und das Feuer eröffnete.
Was genau in der Curva del Diablo, auf dem Fernando Belaúnde Highway und den umgebenden Ortschaften geschehen ist, wurde von unterschiedlichen Organisationen untersucht. Meine Darstellung beruht vor allem auf dem Bericht der International Federation of Human Rights (FIDH) vom Oktober 2009 (http://www.fidh.org/IMG//pdf/rapperou529ang.pdf) und der Aktualisierung ihrer Studie (http://www2.ohchr.org/english/issues/indigenous/ExpertMechanism/3rd/docs/contributions/FIDH.pdf). Auch Amnesty International hat die Vorfälle untersucht. (http://www.amnesty.org/en/library/asset/AMR46/017/2009/en/fea8db2d-a1e1-4440-9d5e-a13d3631e555/amr460172009en.pdf)
Wichtige Informationen waren auch „The Events at the Curva del Diablo on June 5th 2009“ (http://vorige.nrc.nl/redactie/buitenland/peruphotostory.pdf) von Thomas Quirynen und Marijke Deleu von der belgischen Hilfsorganisation Catapa, die allerdings erst nach 6 Uhr dort ankamen. Videos des Fernsehsender Frequencia Latina von der Räumung der Blockade findet man auf Youtube.

Nachdem die Polizei mit der Aktion begonnen hatte und die Bevölkerung in den Städten Bagua, Bagua Grande und Jaén von Toten gehört hatte, stürmten Demonstranten dort öffentliche Gebäude und zündeten sie an. Die Polizei eröffnete auch hier das Feuer.
Zehn Zivilisten starben, darunter fünf Indigene. Es wurden allerdings auch zwölf Polizisten getötet, nachdem Demonstranten sich einiger Waffen bemächtigt hatten. Der Körper eines weiteren Polizisten - offenbar der Anführer der Gruppe, die die Eskalation verursachte - verschwand und tauchte nicht wieder auf. 200 Menschen wurden verletzt, davon 82 durch Kugeln, 41 durch Schläge und 22 durch Tränengas. Vermutlich war die Zahl der Verletzten jedoch noch größer, denn viele Demonstranten kehrten in ihre Heimat zurück, ohne sich zu melden - vermutlich aus Angst vor Repressionen.

Die Auseinandersetzungen am Highway hatten an einem anderen Ort furchtbare Folgen: Etwa 80 Kilometer von der Curva del Diablo entfernt, bei der Stadt Imacita, hatten Demonstranten die Pumpstation Nummer 6 der Nordperuanischen Ölpipeline besetzt. Etwa 40 Polizisten waren dort im Einsatz, die sich offenbar mit den Indigenen auf einen gewaltlosen Umgang verständigt hatten. Die Situation änderte sich, als die Indios von den blutigen Auseinandersetzungen bei Bagua hörten. Der offiziellen Version zufolge - die allerdings von Nichtregierungsorganisationen angezweifelt wird - nahmen einige der Indigenen Polizisten als Geiseln und brachten elf von ihnen um.

Der Ablauf der Ereignisse, wie er im Roman dargestellt wird, entspricht in etwa der Realität - nur dass natürlich meine Protagonisten fiktiv sind und kein Kardinal getötet wurde. Die Situation im Buch beim Ausbruch der Gewalt orientiert sich an den Zeugenaussagen, die berichten, wie der Führer der Awajún, Santiago Manuín Valera, versuchte, den beginnenden Kampf zu stoppen. Er wurde angeschossen und schwer verletzt.

Nach dem Massaker wurden dem World Policy Journal (Spring 2011) zufolge fünf der Indigenen zu Haftstrafen von vier Jahren verurteilt. Aber auch zwei hohe Polizeibeamte und ein General der Armee wurden von einem Militärgericht verurteilt - zu Bewährungsstrafen zwischen einem und drei Jahren sowie geringen Geldstrafen, berichtete die peruanische Zeitung El Comercio im März 2011.

Der Vorfall hatte auch politische Folgen. Zwei besonders umstrittene Dekrete 1064 und 1090 wurden noch im Juni 2009 annuliert. Carmen Vildoso, Ministerin für Frauenangelegenheiten und Soziale Entwicklung, trat aus Protest zurück. Premierminister Yehude Simon legte ebenfalls sein Amt nieder und entschuldigte sich bei den Indigenen dafür, dass die Regierung sie nicht angemessen angehört hatte. Zuvor hatte er allerdings die Verantwortung für die Toten bei den Indios gesehen. 2011 kehrte Albert Pizango, Präsident der AIDESEP, der Indigenen Vereinigung zur Entwicklung im peruanischen Regenwald, aus dem Exil in Nicaragua heim, wohin er aufgrund der schweren Vorwürfe der peruanischen Regierung geflüchtet war. Das Verfahren gegen den Shawi wurde eingestellt. Im selben Jahr kam der Kongress zu dem Schluss, dass sowohl Mercedes Cabanillas, zur Zeit des Massakers Innenministerin, Mercedes Aráoz, Ex-Ministerin für Außenhandel und Tourismus, Ex-Verteidigungsminister Ántero Flores-Aráoz und Yehude Simon politisch verantwortlich für die Ereignisse waren. Eine persönliche Schuld konnte ihnen jedoch nicht nachgewiesen werden.

Im September 2011 unterzeichnete Präsident Ollanta Humala in Bagua ein Gesetz, das indigenen Kommunen das Recht gibt, konsultiert zu werden, bevor über die Entwicklung ihres Landes entschieden wird. Ein entsprechendes Gesetz war von seinem Vorgänger Alan García 2010 noch blockiert worden.

 

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